Donnerstag, 15. September 2016

Throwback Thursday - Der Elternabendkrimi



Ich unterbreche heute einmal die Reihe meiner Urlaubsposts um dem Throwback Thursday gerecht zu werden. Die Ferien sind nun auch bei uns vorbei und die Elternabendsaison wird eröffnet. Ist der erste Elternabend am Gymnasium von Mika tatsächlich schon ein Jahr her? Dieser war eine Art Grenzerfahrung, und wie immer, wenn ich etwas verarbeite muss, schreibe ich es auf. So tat ich das auch letztes Jahr. Man möge mir Spitzigkeit und gelegentlichen Zynismus in dem folgenden Krimi nachsehen. Ich bin sonst immer ein superlieber Mensch, doch manchmal muss ich auch meine "dunkle Seite" etwas herauslassen.

So, einmal zurücklehnen und abtauchen in diesen einen besonderen Abend im Oktober 2015:




Klischee-belegte Elternabende? Es gibt sie wirklich!

Es war einmal ein Elternpaar…. Das ging zum ersten Elternabend des Sohnemanns am Gymnasium. Die Spannung war groß! Neue Schule, neue Lehrer, neue Eltern. Ein unbeschriebenes Blatt waren sie nicht, kannten sie doch derartige Versammlungen bereits aus den vier vorhergegangenen Grundschuljahren. Harmlos, ganz nett bis langweilig, immer im kleinen dörflichen Rahmen.

Heute jedoch sollte alles anders sein. Riesige Schule, Gymnasium.

Schon als sich der Klassenraum füllte, waren erste Neuerungen sichtbar. Während sich in der Grundschule meist nur Mütter tummelten war hier das Publikum mit auffallend vielen Vätern vertreten. Ein erster Blick in die Runde ließ eine grobe Unterteilung in verschiedene Alters- und Gesellschaftsklassen recht schnell zu. Doch das unbedarfte Elternpaar wusste noch nicht, was sich erst alles auftun würde, wenn all die Eltern erst einmal beginnen würden zu sprechen. Zuerst kam allerdings die Lehrerschaft zu Wort.

Demütig und beeindruckt lauschten Vater und Mutter den Worten der Gymnasial-Lehrer. Vorbei die Zeit, in der es eideidei-Themen wie Weihnachtswerkstatt, Pausenbrotempfehlungen und Vorlesepaten-Aufrufe gab. Von „Lehrplanpolitik“, „Leistungsermessungsmaßnahmen“ und „Exkursionen“ (<- nicht „Ausflügen“) wurde gesprochen. Klar, streng, strukturiert – wow, beeindruckend und so „anders“. Dies sollte nun also das neue Schulleben sein. Gebannt saugte das Elternpaar die Infos auf. Auch eine junge, fast schon als herzig zu bezeichnende Englisch-Lehrerin kam zu Wort. Endlich wieder ein wenig Wattegefühl, als sie vom Raupen-Stempel-Belohnungssystem sprach und auch erklärte, dass sie den „Fünferlen“, wie die Schulstarter genannt werden, den Einstieg mit möglichst wenig Druck ermöglichen möchte, indem es nie mehr als 15 Vokabeln auf einmal zu lernen gäbe.

Das Watte-Kuschel-Gefühl war schnell dahin. Denn langsam aber sicher erwachte die Elternschaft. Den Startschuss gab Klischee-Mutter Numero 1. Nennen wir sie der Einfachheit halber „Proll-Mom“. Sie war die erste, die sich zu Wort meldete und auch diejenige, die dies am häufigsten tat. Innert weniger Minuten waren folgende Fakten klar: IHRE Tochter hat den blödesten Schulweg (faktisch komplett falsch, wenn man die geographischen Gegebenheiten berücksichtigt), IHRE Tochter hat Probleme in Deutsch und in Mathe. Nun soll IHRE Tochter in den Förderunterricht, und SIE möchte gerne entscheiden in welchen. IHRE Tochter hat wohl einen echt fiesen Sitzplatz, so in der vorletzten Reihe. 

Nachdem jeder Mensch, und somit auch eine Proll-Mom gelegentlich Luft holen muss, gelang es einem anderen Exemplar der Gattung Vater zu Wort zu kommen. Noch litt das junge Elternpaar an Kopfrauschen aufgrund der Proll-Mom-Tiraden, doch der nun einsetzende Brett-vor-dem-Kopf-Schock ließ eine Zentrierung zu. Verantwortlich hierfür war die Wortmeldung des, nennen wir ihn einfach Asshole-Daddys. Erleichtert über Proll-Moms Luftholpause strahlte die Zuckerwatten-Englisch-Lehrerin den bis zu diesem Moment noch anonymen Asshole-Dad an und übergab ihm das Rederecht. Schwerer Fehler. Dieser halbglatzige eher in der zweiten Lebenshälfte angesiedelte Mensch sagte: „Ich habe meine Tochter nach dem ersten Englisch Unterricht gefragt, wie er ihr gefallen hat.“ Erwartungsvoll wurden die großen blauen Augen der Zuckerwatten-Misses noch einen Zacken größer. „Sie meinte, der Unterricht war zu schwer und die Lehrerin ist doof“. Bämm. Selbst die Proll-Mom verschluckte sich fast an ihrem Kaugummi. Hatte er das wirklich gesagt? Ja, hatte er. Und er war auch noch nicht fertig. In zackigem Kommandoton forderte Asshole-Dad Rechtfertigungen dafür, dass im Englisch Unterricht nur Englisch gesprochen wird, warum andere Klassen mehr als 15 Vokabeln pro Hausaufgabe aufbekämen und überhaupt, wie das alles sein könne! Die Zuckerwatten-Frau blieb erstaunlich gefasst, ein beherztes Widerspruchslob einer anderen Mutter könnte sie etwas bestärkt haben. Souverän erläuterte sie ihre Unterrichtsstruktur und endete mit den Worten: „Es tut mir leid, dass ihre Tochter mich doof findet.“. Spätestens jetzt, wo jeder einigermaßen emphatische Mensch ein Stück weit zurückgerudert hätte, machte Asshole-Dad seinem Namen alle Ehre: „Vielleicht wird’s ja noch besser“.

Das junge Paar erwachte langsam aus seiner Versteinerung und trug mit seinem fassungslosen Getuschel („Wessen Vater ist das nur? Hat der einen an der Waffel?“) der allgemeinen Geräuschkulisse bei. 

Die Klassenlehrerin erlöste Zuckerwatten-Misses, indem sie sie weiterziehen ließ und nahm nun weniger zuckerwattig, jedoch rhetorisch gewandt in perfektem Hochdeutsch das Zepter in die Hand. Sie bat um eine Vorstellungsrunde, in welcher jeder Elternteil erklären möge, welchem Kind er angehöre und was dasselbe zuhause berichte. Nun wurde es spannend.

Gleich der erste, eher schüchtern wirkende Vater wurde von einem anderen unterbrochen. Der Unterbrecher, nennen wir ihn NSA-Paps, forderte freundlich aber bestimmt, dass bitte jeder, der sich vorstellt, auch den Wohnort dazu nennen soll. Gar nicht schlecht die Idee, wie auch das junge Paar fand. Doch das Interesse des NSA-Paps’ war dann wohl doch ausgeprägter und über das Durchschnittsmaß hinausgehend. So saß er während der ganzen Vorstellungsrunde mit absolut aufrechter Körperhaltung gebannt da, starrte jeden Sprecher eindringlich an und machte sich – gefühlt – seitenweise Notizen zu jeder der ca. 35 anwesenden Personen. Zwischenzeitlich überlegt das junge Elternpaar, ob es sich schon etwas zu Schulden kommen hat lassen und ob es vielleicht besser wäre, sich und dem eigenen Sprössling Pseudonyme zu verpassen. Wer weiß….

Der Sprechstein wanderte und das Zuhören und Abscannen war spannender als jegliche Dokumentation des Abendprogramms im Fernsehen. Es war alles dabei: Eltern, die schon x Kinder durchs Abi gebracht haben, Jungeltern, die gleich bei der Vorstellung bescheiden versicherten, dass es gaaaar nicht schlimm ist, wenn die Tochter doch noch auf die Realschule wechseln muss, pädagogisch einwandfreie Familien, die gleich schon den Handygebrauch der anderen verurteilten, besorgte Mütter, die sich über den zu strengen Sportlehrer beklagten.

Schnell wurde klar, dass Proll-Mom Verstärkung dabei hatte. Ihre Best Buddy Mütter betonten im Atemzug mit der Namensnennung, dass IHRE Töchter nur Probleme haben, weil sie sich so schlecht konzentrieren können, da sie nur Gesamtschulen gewöhnt seien. Würde man jedes Proll-Mutter-Kommentar als einen Piepton darstellen, wäre zeitweise die Tinnitusgefahr ins Unermessliche gestiegen.

Die Vorstellungsrunde endete mit – nennen wir ihn – Döner-Dad. Dieser erzählte, dass sein Sohnemann sich wohl fühlen würde und ganz besonders begeistert davon war, dass er an Mittagsschultagen immer Döner essen gehen könne im Städtchen. Dieser harmlose, eher sympathisch anmutende Kommentar wurde mit den giftigsten aller Giftblicke eines anderen anwesenden Vaters quittiert. Nennen wir ihn Müsli-Peter. Weshalb er so erzürnt war sollte sich erst am Ende der Veranstaltung herausstellen.

Die Vorstellungsrunde war vorüber, nun ging es ans Eingemachte. Elternvertreter mussten her. Wie dies bei einer solchen Thematik üblich ist, rutschten alle Anwesenden so tief in ihren Stuhl wie nur irgend möglich. Zwei jedoch blieben aufrecht und erwartungsvoll sitzen. Konnte es möglich sein? Dass ein Klischee dermaßen bedient wird? Ja. Die zwei Freiwilligen waren Proll-Mom und NSA-Paps. Nundenn, die unbedarfte Mutter des jungen Elternpaares freute sich ob der Schnelligkeit und applaudierte. Fehler. Ups. Sooo leicht sollte es doch nicht sein. Denn eine Alt-Mutter – nennen wir sie Spießer-Gertrud bestand auf die Einhaltung sämtlicher Regularien.

Kurzerhand musste eine Proll-Mom-Verbündete vor an die Tafel um die Wahl zu leiten. Wahl? Bei zwei zu wählenden Vertretern aus zwei Freiwilligen? Gymnasial-Mathematik scheint wohl doch anders zu funktionieren, wie das junge Elternpaar sich eingestehen musste.

Die Wahlleiterin schrieb die Namen an die Tafel. Bedauerlicherweise kannte sie von Proll-Mom nur den Vornamen. Dies wurde umgehend aufs Schärfste verurteilt von Spießer-Gertrud. Nachdem nun beide Namen von beiden Kandidaten orthographisch korrekt an der Tafel prangten, wurde eine Geheimwahl angeboten. Überraschenderweise wurde diese einheitlich abgelehnt, sodass per Handzeichen abgestimmt werden musste, ob alle einverstanden sind, dass das NSA-Proll-Duo künftig die Stimme der Elternschaft repräsentieren sollte. Das Ergebnis war eindeutig. Wieder setzte das junge Elternpaar euphorisch zum Applaus an, wurde jedoch alsbald von Spießer-Gertrud darauf hingewiesen, dass nun noch entschieden werden müsse, wer 1. Elternsprecher und wer 2. werden soll. NSA-Paps erklärte sich für Posten 1 bereit, Proll-Mom für 2. 

Aus Erfahrung lernte auch das Jung-Elternpaar, sodass es von dem dritten Versuch eines Applauses absah. Sehr gut. Denn Gott sei Dank gab es Spießer-Getrud, die für den korrekten Ablauf sorgte: Sie erbat eine Abstimmung per Handzeichen. Interessanterweise wurden nun beide folgenden Fragen mit gleich vielen Stimmen honoriert: 1. Wer ist dafür, dass NSA-Paps der Chef ist? 2. Wer ist dafür, dass Proll-Mom den Vize macht?

Nun könnte man meinen, dass dieser Krimi eines Elternabends ein Ende hätte. Hatte er noch nicht. Jetzt wurde es erst richtig wichtig. Denn das Highlight des Abends stand an: Das Verteilen einer Telefonliste. Dass auch dies eine Wissenschaft darstellt sollte das Jungelternpaar nun lernen. 

Die Klassenlehrerin hatte ein Formular vorbereitet und in ausreichender Menge kopiert. Aber da hatte sie sich mit der falschen Klasse angelegt. Eine Telefonliste mit Namen und Telefonnummern? Nicht mit der Elternschaft der 5a! Adressen müssen mit drauf! Unbedingt!!!! Seufzend sah sie ihren Fehler ein und machte sich auf den Weg ins Sekretariat um eine korrekte Liste zu kopieren. In der Zeit ging es im rund im Klassenzimmer. Denn nun kam Vater-Nerd ins Spiel. Ganz unbeeindruckt von der Tatsache, dass die Lehrerin bereits fort war um eine neue Liste zu kopieren, wies er in ruhigem Ton darauf hin, dass eine Liste ohne E-Mail-Adressen nicht mehr zeitgemäß wäre. Während sein Argument bereits direkt von Spießer-Gertrud verteufelt wurde, da nicht jeder beschäftigte Mensch ständig in ein E-Mail-Postfach gucken könne und lieber telefonisch kontaktiert werden möchte, war Proll-Mom mit dem Auswechseln ihres Kaugummis fertig und wollte wieder mitspielen.

Nachdem sie lautstark betont hatte, dass sie bereits in Klasse 3 und 4 ihrer Tochter Elternsprecherin war, sah sich in der Pflicht alle darauf hinzuweisen, dass es unabdingbar war, auch eine Handynummernliste zu erstellen. 

Ängstlich wandte sich die Jungmutter an ihren Mann und meinte: „Ich will nicht, dass irgendwer in diesem Raum meine Handynummer bekommt! Nachher gründen die noch WhatsApp oder Facebook-Gruppen“ seine Antwort war nicht sehr beruhigend. „Psst, nicht so laut, sonst setzt Vater-Nerd das direkt um. Außerdem beobachtet dich schon NSA-Paps“.

Um den Überblick zu behalten: Die Klassenlehrerin kopierte gerade Liste Nummer zwei, da ja die Nummer eins mangels Adressen abgelehnt worden war. In dieser Zeit entstanden Liste Nummer 3 (E-Mail-Adressen) und Liste Nummer 4 (Handynummern).

Im Laufe des Abends fiel auch das Wort „Bildungselite“. Diese setzte wohl ein möglichst kompliziertes Vorgehen in allen Belangen voraus. Denn noch während der Listendiskussionen wurde bereits an Formblatt Nummer 5 getüftelt. Eine Wer-ruft-wen-wann-an-wenn-etwas-Wichtiges-ist-Liste.

Das junge Elternpaar konnte vor lauter Staunen die Münder kaum noch schließen. Sie verweigerten todesmutig die Herausgabe ihrer Handynummern, trugen sich in die E-Mail-Liste ein und machte drei Kreuze, als die Lehrerin zurückkam und etwas Ruhe einkehrte.

Ein letzter Aufruf zu Anregungen, Fragen oder Bemerkungen sorgten für eine finale Wortmeldung von Asshole-Dad. Dieser zog ein Formblatt aus seinem Aktenstapel aus welchem heraus er die DIN schlag-mich-tot rezitierte um damit zu monieren, dass der Schulranzen seiner englisch-unterricht-geplagten Tochter zu schwer sei. Als er damit fertig war zu beweisen, dass es tatsächlich Menschen auf dieser Welt gibt, denen es total egal ist, dass sie offensichtliche Ekelpakete sind, wurde der Elternabend offiziell für beendet erklärt. Während das junge Elternpaar sich nun den Weg nach draußen bahnte, bekam es nur noch am Rande mit, wie Müsli-Peter zu Döner-Dad stapfte um ihn aufgebracht aufzufordern, dass dieser unterbinden solle, dass sein Sohn sich jeden Morgen über die Vesperdose des Müsli-Sprösslinges lustig macht, nur weil dieser gerne vollwertige Zucchinibutterfrischkäsekarottensesamdinkel-Mahlzeiten verspeise.

Mit hochgezogenen Schultern und eingezogenem Kopf hastete das Jungelternpaar zu seinem Auto, wo es seinen Gefühlen nachgab und den Lachkrampf des Jahrtausends auslebte. 






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